Der Widder
Figürliche Darstellung des Widders
(Bild: Kosmos Verlag/Kay Elzner)
Der Widder war ursprünglich mal ein Lohnarbeiter: Wie aus diesem Mann möglicherweise mal ein Tier geworden ist, darüber schreibt Susanne M. Hoffmann in ihrem Buch „Wie der Löwe an den Himmel kam“:
Antik wurde der Widder mit dem ersten Monat des Jahres assoziiert, da man den Jahresbeginn mit dem Frühlingserwachen – der sogenannten Lämmerspringe – gleichsetzte. Alt- und mittelbabylonisch ist an dieser Stelle des Tierkreises kein Tier gedacht worden, sondern ein Mensch: der Lohnarbeiter, der nun wieder eingestellt wurde, weil Vieh auf der Weide gehütet und Ackerbau betrieben werden musste. Das babylonische Sternbild Lohnarbeiter wurde mit dem Gott der Hirten assoziiert, Dumuzi, dem Gemahl der Göttin Inanna/Ischtar.
Wie aus dem Lohnarbeiter ein Widder wurde, ist bisher ein Rätsel, für das die Wissenschaft mehrere Theorien hat: Natürlich kann es sein, dass der Widder griechisch war und bei der Übernahme des babylonischen Tierkreises der fremde Lohnarbeiter einfach durch ein eigenes Sternbild ersetzt wurde. Das ist aber unwahrscheinlich, da alle anderen fremdartigen Bilder übernommen wurden, sogar dann, wenn man Mühe hatte, sie in die eigene griechische Mythologie zu integrieren, wie es z. B. beim Steinbock bzw. Ziegenfisch der Fall war.
Wahrscheinlicher ist daher, dass der Wandel bereits in Babylon geschah, bevor der Tierkreis in alle Welt exportiert wurde. Hierfür gibt es bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts die Hypothese eines babylonischen Wortspiels: Der Lohnarbeiter heißt LU.ḪUN.GA, wobei das Präfix LU nur anzeigt, dass es sich hier um eine Bezeichnung für einen Menschen handelt. Wie alle Wissenschaftler neigten auch die Babylonier zu Abkürzungen und schrieben oft nur das Zeichen für die erste gesprochene Silbe, also ḪUN. Das ist auf Tontafeln belegt. Dieses Keilschriftzeichen sieht allerdings dem Zeichen für UDU, Schaf, sehr ähnlich, sodass es sich um einen Jux handeln könnte oder ein Missverständnis bei Übersetzungen ins Griechische oder andere Sprachen.
Aratos und Eratosthenes sind sich sicher, dass hier ein Widder verstirnt wurde. Im Allgemeinen waren Widder beliebte Opfertiere. Zudem wird Zeus selbst mitunter mit einem Widder identifiziert. Es muss sich daher bei dem Widder am Himmel um einen besonderen Widder handeln und davon handelt der Mythos.
Eratosthenes erzählt, dass der Widder ein unsterbliches Wesen gewesen sei, der von der Zauberin-Königin Nephele ihren Kindern Phrixos und Helle geschenkt worden sei. Sie war die Frau des Königs in Thessalien und Böotien, doch ihr Mann hatte sie verstoßen und sie wollte ihre Kinder vor der Stiefmutter retten. Daher trug der fliegende und sprechende Widder mit dem goldenen Fell die beiden Kinder aus dem Königspalast fort. Das Mädchen – Helle – warf er über dem Meer ab, wo es von Poseidon gerettet wurde. Helle gebar Poseidon einen Sohn namens Paion und das Meer heißt heute nach der Prinzessin Hellespont (heutige Dardanellen). Den Jungen – Phrixos – brachte der Widder über das Schwarze Meer zu König Aietes. Dann zog er sein goldenes Fell aus, übergab es dem König als Andenken und stieg selbst zu den Sternen auf. Die griechischen und römischen Dichter wandelten diese Geschichte und gaben mehr Details. Einig sind sie sich darüber, dass der Widder am Himmel nur schwach leuchtet, da sein goldenes Fell in der Kolchis –einer Landschaft zwischen heutigem Kaukasus und dem Schwarzen Meer – geblieben war. Dort wurde es im heiligen Hain aufgehängt und als die Griechen es zurückbegehrten, gab es Anlass zur Fahrt der Argonauten. Jason, der sich seinen Thron verdienen sollte, war mit dem später verstirnten Schff Argo über das Meer gereist und nachdem sein höflches Bitten keine Erwiderung fand, stahl er das Vlies aus dem Hain. Dabei war ihm die Königstochter Medea zu Hilfe gekommen, die er daraufhin heiratete. Die Hochzeitsnacht verbrachten sie auf dem goldenen Widderfell.
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